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Der aktuelle Aufmacher der ZEIT hat mich direkt getroffen. „Du schaffst es nicht!“

Weckt das nicht Erinnerungen? Wohl nur in den wenigsten von uns.

Headline der ZEIT N° 05 / 2013

Headline der ZEIT N° 05 / 2013

 

Arbeiterkinder wird die Summe der Kinder genannt, die es durch ihre Herkunft im gängigen Schulsystem schwierig haben. Darunter kann man dann vieles verstehen: Kinder von Fließbandarbeitern, Verkäuferinnen und Handwerkern, von Arbeitslosen, Hartz-IV-Empfängern und Migranten. Eben beim letzten Wort klingelt es, zumindest in meinen Ohren. Eben diese Gruppe ist es, so schreibt Marco Maurer, Erzähler des Textes, die „auch bei exakt gleicher Leistung schlechter benotet werden.“

Wem aber mit zehn, zwölf Jahren gesagt wird, es komme für ihn nur die Hauptschule infrage, weil er für alles andere zu dumm sei, der hat nur eine Möglichkeit, seine Selbstachtung nicht zu verlieren: Er muss sich einreden, Bildung sei Unsinn, und sich andere Aufstiegsmodelle suchen. -ZEIT 5/13 Marco Maurer

Und damit trifft dieser Kommentar ins Schwarze. Ich schaffte die für mich etwas hoch geschraubte Aufnahmeprüfung (nach gerade 4 Jahren Aufenthalt in Deutschland) auf die Realschule nicht, habe versagt. In Frage kam die „Friedenschule“-Hauptschule im Industriekaff Schweinfurt (Bayern). Das frustrierendste dabei ist aber all die Perspektivlosigkeit auf einem Haufen versammelt zu sehen, wenn man in die große Pause geht.

In einem Ort nicht weit von meinem Zuhause stand eine kleine Ziegelfabrik. Dort klopfte ein Mann mit einem Gummihammer auf frisch gebrannte Dachziegel, die ihm ein Fließband vorsetzte. Acht Stunden am Tag, etwa ein Ziegel pro Sekunde. Der Mann prüfte den Härtegrad. Er hatte dunkle Haut und einen Schnurrbart. Wir nannten ihn Ali. -ZEIT 5/13 Marco Maurer

 

[…] ein Infoblatt, auf dem steht, dass Schüler, die nach der zehnten Klasse aufs Gymnasium wechseln möchten, einen Lernrückstand von einem Jahr haben und deshalb „ihr blaues Wunder erleben“ und „schlicht scheitern“ werden.

Für mich klingt das so, als hätten privilegierte Menschen Angst, ihre Kinder müssten mit Arbeiter- und Migrantenkindern um Studienplätze konkurrieren. -ZEIT 5/13 Marco Maurer

Fasst sehr gut zusammen, wieso ich niemals die CDU/CSU oder die FDP wählen könnte. Die Vereine der konservativen Denkneurotiker, denen bekannte Strukturen mehr Wert sind als Chancengleichheit.

Habe ich doch erschreckende Parallelen in dem Artikel gefunden. Nicht nur mein Leben haben mehrere Lehrer geprägt und mir „interessante“ Ratschläge mit auf den Weg gegeben. „Lass es lieber bleiben, du schaffst es sowieso nicht“, ein nicht ganz wörtliches aber sinngemäßes Zitat meiner Klassenlehrerin der 6. Klasse Frau Schott in der Hauptschule bei meinem Wechsel auf die Realschule. Ebenfalls auf dieser weiterführenden Schule bekam ich beim Wechsel auf die Fachoberschule zum erreichen des Fachabiturs in der 10. Klasse ähnliche Dinge gesagt, die da etwa lauteten: „nur die wenigsten Schüler unserer Schule schaffen es durch das System. Wir empfehlen euch eine Ausbildung.“

„Meine Mama sprach von Umzügen, Schulwechseln und der Trennung von ihrem Lebensgefährten. „In den Jahren zuvor war er doch besser“, sagte sie. „Er hatte immer nur Zweien im Zeugnis, er könnte den Aufnahmetest für die Realschule machen.“

„Das hat doch keinen Wert bei ihm, Frau Maurer.“

Als Herr Proksch das sagte und den Kopf schüttelte, stand meine Mama auf, nahm ihren roten Mantel und verließ den Klassenraum, in dem das Wort „Arbeiterkind“ in der Luft hängen blieb.

„Vielen Dank, Herr Proksch!“

Heute, mehr als 20 Jahre später, sagt meine Mama, während sie an einer Zigarette zieht, sie habe sich damals machtlos gefühlt. Sie, die Volksschülerin und Friseurin, wagte es nicht, ihm, dem Akademiker, zu widersprechen.

-ZEIT 5/13 Marco Maurer

Und auch hier die zweite Geige:

Also erzählte ich ihm von meinem Wunsch, Journalist zu werden. Fast traurig sah er mich an und sagte: „Herr Maurer, fangen Sie nicht an zu träumen.“

Er fragte mich, was meine Eltern von Beruf seien. Dann sagte er: „Herr Maurer, wie wäre es denn mit etwas Vernünftigem? Haben Sie niemanden in der Familie, der etwas für Sie hat?“ […] Also wurde ich Molkereifachmann. -ZEIT 5/13 Marco Maurer

Aber auch wie bei Marco hatte bei mir eine Person etwas motivierendes. In der Abschlussklasse stand ich da, mit meinen verkrüppelten Noten, die ich so ungerne mit nach Hause brachte. In Mathematik eine 4? Wie konnte das passieren, war es doch immer mein stärkstes Fach. Die schlechten Noten aber projizierten nicht immer eine schlechte Leistung auf meiner Seite, das bewies mir mein Mathelehrer in der Abschlussklasse. Noch aus der Vorstufe nahm ich nicht nur schlechte Noten sondern auch wenig Motivation und Grundwissen mit. Aber zum Abschluss fand ich durch Herrn Schmitt irgendwie doch die richtige Motivation. Mit etwas Mühe schrieb ich die 1 und verbesserte mich um drei Notenstufen in der Abschlussarbeit.

Nach einem Zivildienst und gutem Zureden durch eben diesen einen Lehrer habe ich es dann doch auf mich genommen ein Studium in Wirtschaftsinformatik aufzunehmen. Und schnell begriff ich, dass die Noten immer nur eine Momentaufnahme sind. Sie können noch so schlecht sein im letzten Jahr, wenn du dein Ziel gefunden hast, gibt es auch mal eine 180° Wendung. So war es durch die 1er im Programmieren, Mathe, Datenbanken, etc. die nicht nur meinen Schnitt aber auch meine Selbstachtung hebten. Auch hier die spannende Parallele:

Es ist Frau Galli, meine Lehrerin im Deutsch-Leistungskurs auf dem Bayernkolleg in Augsburg. Dort habe ich mein Abitur nachgeholt. Am Abend der Abschlussfeier sagte sie zu mir, nachdem ich ihr von meinem alten Berufswunsch erzählt hatte: „Herr Maurer, Sie würden einen ausgezeichneten Journalisten abgeben.“ -ZEIT 5/13 Marco Maurer

Wieso also halten so viele Menschen noch an diesem System so stark fest? Es wirkt für mich albern, dass dieses Land noch so viele Fakten vor sich her schieben kann, aber lieber das Ewiggestrige predigt. Immer wieder rennt man gegen Mauern bei Leuten, die noch nie etwas vom Pygmalion-Effekt gehört haben.

Habt ihr ähnliche Erfahrungen? Würde mich sehr interessieren!